7/02/2015

Umgekehrter Kulturschock

Auf den Artikel "Nur stur - oder redliches Geschäftsgebaren?" (Xing -> Gruppe: "Japan - Land der aufgehenden Sonne"), den ich neulich hier eingeschrieben habe, gab es einige Kommentare, in denen das Alter von Gebäuden angesprochen wurde.
Ich möchte hier nicht akademische Diskussionen zu dem Thema beginnen, sondern nur ein Erlebnis mit den Gruppenmitgliedern teilen, dass ich vor 5-6 Jahren in Rothenburg hatte.

Man spricht oft davon, mit "den Füßen auf festem Boden" zu stehen, oder "festen Boden unter den Füßen" zu haben. Das ist weder neu noch ungewöhnlich und wird im Allgemeinen in dem Sinne verwandt, dass man sich auf etwas verlassen kann.
Wie aus meinen bisherigen Beiträgen vielleicht ersichtlich war/ist, habe ich meinerzeit in Deutschland Judo, Aikido, Tai Chi betrieben, mit all dem geistigen Kram, der da so mit einhergeht, und dies hat dann später dazu geführt, dass ich nach Japan ging, um Bogenschießen zu lernen. In Deutschland haben meine Eltern auch in einem Backsteinhaus gewohnt und ich bin zu zahlreichen Gelegenheiten in zahlreichen Kirchen gewesen. Dabei habe ich mir nie etwas gedacht und mir ist auch nie etwas "besonderes" aufgefallen.
Hier in Japan habe ich dann wie gesagt Bogenschießen, ein bischen Teezeremonie und dergleichen betrieben und vor 30 Jahren meine Lizenzen als Akupunkteur (orientalische Medizin mit dem Yin-Yang Kram, ewiger Wechsel etc. ...) erworben und kann Heute auf 30 Jahre klinische Praxis zurückblicken. Auch dabei ist mir nie etwas "besonderes" aufgefallen.

Vor ca. 5 Jahren wurde ich dann von einer japanischen Akupunkturgesellschaft gebeten, unter anderem den "TCM Kongress" in Rothenburg zu beobachten und dann hier in Japan darüber zu berichten. In den Jahrzehnten meiner Tätigkeit als Akupunkteur ist mir schon häufiger aufgefallen, dass es auch bei großen Berühmtheiten im Bereich der orientalischen Medizin aus Europa, die sich SEHR gut mit der Materie auskennen, "irgendwie" Unterschiede zu den entsprechenden Meistern hier gibt. Allerdings konnte ich bis dahin nie sagen, worin diese Unterschiede bestehen.

Und dann war ich in Rothenburg. Wunderschöne Altstadt. SEHR schön, aber als solches nicht ungewöhnlich. Eines schönen Nachmittags habe ich mich bei einem Spaziergang durch die Stadt für eine Weile in eine Kirche gesetzt. Einfach nur so. Während ich so da saß und im wesentlichen an gar nichts dachte, fiel mein Blick auf die vom Boden zu der sehr hohen Decke aufragenden Steinsäulen. (Beigefügtes Bild: ich habe leider kein Bild aus der Kirche, aber das am Hang gebaute Backsteinhaus wäre in Japan ebenso undenkbar!)
Nach einer Weile hat es mich dann "getroffen". So etwas wäre in Japan einfach NICHT möglich. Die würden selbst bei jedem kleineren Erdbeben um/einstürzen.
DAS ist etwas, was Deutschland und Japan GRUNDSÄTZLICH unterscheidet. Hier hat man keinen "festen Boden unter den Füßen"! Alle in Japan aufgewachsenen Japaner "wissen" das, ohne jemals darüber nachgedacht zu haben. Ich selbst habe ja auch unzählige Erdbeben erlebt, aber dass dies einen Einfluss auf die Kultur und Mentalität (es steht jederman frei, diese Behauptung in Frage zu stellen) ist mir nie in den Sinn gekommen.

Dieses kleine Erlebnis war zumindest für mich persönlich DIE Erklärung für die Unterschiede in Einstellung und Praxis der Akupunktur; in weiterem Sinne wohl auch für andere Formen orientalischer Kultur. Leute die von Geburt an immer auf festem Boden gestanden haben, können glaube ich nicht so recht "nachempfinden", was Menschen denken/fühlen, die ihr ganzes Leben auf einem in ständigem Wechsel befindlichen Boden gelebt haben.

Aber wie gesagt: das ist nur mein persönlicher Eindruck und nicht irgendeine wissenschaftliche Tatsache.

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